X
Am Sonntag wollt ich hier in die Welt setzen,
wie froh Spießigkeit machen kann.
Nämlich habe ich dieses Jahr - seit Samstag eben -
einen Weihnachtsbaum. Meinen ersten. Und schön ist der!
Üppig buschig grün füllt fast mein ganzes Bücherzimmer aus.
Und so voller Liebe geschmückt,
wie ein kleines Mädchen in idyllischen Vorstellungen
Sandkuchen backt.
(In Wahrheit fand ich Sandkuchenbacken immer enttäuschend,
aber die Sache mit dem Weihnachtsbaum schmücken,
die hat funktioniert,
wie Hollywood es nicht besser hätte versprechen können:
Das pure unschuldige Glück!)
Nur ein gescheites Foto hätt ich noch machen wollen
und mit hier reinstellen, und das hab ich nicht so fix geregelt gekriegt,
also hab ich das Posten auf Montag verschoben.
X
Am Montagmorgen - ich hatte eben erst inmitten Vollstreß im Büro
mir ne Minute aus dem Leib gerissen, um meine Mutter anzurufen
und zu fragen, ob ich nen Feldhasen zum Festmahl schießen lassen soll,
da war noch alles quietschfidel.
Ereilt mich kaum ne Stunde später der Anruf, mein Vater...
Herzinfarkt... sei auf dem Weg ins Krankenhaus.
Nun gehör ich zu den Menschen, die über Tod und Sterben nachdenken,
seit sie zwölf sind.
(siehe Blog-Unterzeile, ach was solls, glaubts mir einfach!)
Und über die Eltern und mein Verhältnis zu denen auch.
Und naja, verkehrt sind die nicht, aber anstrengend sind die.
Jedenfalls hats mich - und das hat mich erstaunt - eiskalt erwischt.
Tränen auf Knopfdruck in den Augen, nasowas.
X
Klar, dass sowas zwei Tage vor ner Sendung passieren muss, die ich verantworte.
Klar, dass ich trotzdem funktioniert hab, erstklassig
- unter Streß wachse ich mitunter ins Übermenschliche.
Erster Schritt:
Chefin, um anzumelden, dass ich womöglich gleich schlagartig
das Büro verlasse.
Zweiter Schritt:
Kollegin, um anzumelden, dass sie womöglich gleich schlagartig
meinen Job übernehmen muss.
Dritter Schritt:
Hinsetzen, sammeln, kurz heulen, eine Minute Zeit muss dafür schon sein,
Übergabe organisieren.
Autosuggestionale Beruhigungsformeln aufsagen.
Ach, sollte ich an dieser Stelle der Vollständigkeit halber erwähnen,
dass ausgerechnet diese Sendung unter enormem Erfolgsdruck stand
und zudem von internen Querelen und Grundsatzstreitigkeiten begleitet war,
dass ihr also eine Art Exempel-Status zukam?
Da kommt das Pendeln zwischen Krankenhaus und Job besonders gut.
XXX
Nungut, mein Vater wurde gestern mit Stents stabilisiert,
ich hab die Sendung gestemmt
und gieße jetzt meinen Weihnachtsbaum.
Hallelujah!
4 Kommentare:
Mein Vater hatte vor kurzem einen Unfall und kam nur knapp davon.
Selbst wenn man ab und an über solche Möglichkeiten nachdenkt, am Ende ist man nie auf so etwas vorbereitet.
Wie sagte Bazon Brock: "Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter." Was kann man da noch sagen. :-)
Ja, entsetzlich. Man ist vor allem nicht nur nicht auf das Geschehen nicht vorbereitet, sondern auch auf die eigenen Reaktionen und Empfindungen. (- Ihgitt, wenn man als Kontrollfreak sich plötzlich selbst nicht kennt!)
Das Zitat ist grandios! Wo sagt er das? Noch wo ausser aufm Blechschild? (Ich mochte bisher die lyrische Fassung von Alfred Andersch: "Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben!", aber das ist jetzt vorerst getoppt.)
Wie gehts Deinem Vater?
Und wie Dir?
- allen geht es gut
- ich kenne nur das Blechschild
- es gibt eine Version von "and death shall have no dominion", die nicht von Dylan Thomas ist?
Das habe ich nicht gewusst.
hm. offenbar nicht.
erinnerungsfehler:
andersch hat ihn nur zitiert.
Kommentar veröffentlichen