mitmensch

gestern abend hab ich lange mit einer vor zerrissenheit
zwischen wut und verzweiflung kranken frau gesprochen.
sie hat mich gehasst, sie hat mich beschimpft.
und dann hat sie sich mir geöffnet.
sie wurde sanft und anlehnungsbedürftig,
hat mir viele ihre seelengeheimnisse anvertraut,
und hatte schliesslich furchtbare angst,
dass ich sie wieder allein lassen würde.
sie wusste, wir werden uns vermutlich nie wieder begegnen.

sie ist klug und verrückt und humorvoll.
sie hasst menschen, sagt sie, denn menschen sind grausam.
anderer menschen leid berührt sie jedoch tief
und macht sie weich.
sie mag bären, denn die beschützen,
und sie hat ein schnuffeltuch, das sie nachts tröstet.
soviel tiefer, nie enden wollender schmerz,
so lange schon, und keine linderung in sicht.
ich habe ihr versprochen, dass ich sie nie vergessen werde,
das hat ihr den abschied erträglich gemacht.

sie glaubt, "normale" menschen hassen "verrückte" wie sie
und wollen, dass sie verrecken und weg sind.
wer platz hat in seinem herzen
für schmerz- und angsterfüllte menschen:
jeder liebevolle gedanke wird sie erreichen, da bin ich sicher.